von Ahmed Algheryani

In der deutschen Hauptstadt Berlin fand Mitte Juni 2025 erneut ein internationales Treffen zur Libyen-Krise statt โ€“ der Versuch, einem politischen Prozess neues Leben einzuhauchen, der seit Jahren stagniert. Internationale und regionale Akteure kamen zusammen, um eine Lรถsung fรผr die libysche Krise zu finden, deren Komplexitรคt lรคngst zum Sinnbild fรผr รคuรŸere Einflรผsse und innere Spaltungen geworden ist. Doch bleibt die Frage offen: Kann dieses Treffen konkrete Fortschritte bringen oder ist es nur ein weiteres Kapitel in einer langen Reihe wirkungsloser Konferenzen?

Berlin als Bรผhne einer zรคhen Krise

Bereits zum dritten Mal nach den Konferenzen im Januar 2020 und Juni 2021 diente Berlin als Plattform fรผr internationale Gesprรคche zur Lage in Libyen. Ziel des aktuellen Treffens war es, dem festgefahrenen Friedensprozess neue Impulse zu geben. Im Fokus standen die Konsolidierung des Waffenstillstands, der Neustart des Verfassungs- und Wahlprozesses, die institutionelle Einigung sowie die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Stabilisierung des Landes.

Vertreter:innen internationaler Schlรผsselstaaten sowie Delegierte der Vereinten Nationen und der Europรคischen Union versuchten, sich als geschlossene Front zu prรคsentieren. Doch wie schon so oft, offenbart sich hinter diplomatischen Erklรคrungen die Realitรคt geopolitischer Konkurrenz und divergierender Interessen.

Zwischen Spaltung und Einmischung: Die Realitรคt in Libyen

Das Treffen fand vor dem Hintergrund einer tiefen politischen Spaltung in Libyen statt. Seit Jahren konkurrieren mehrere Regierungen, Milizen und auslรคndische Akteure um Einfluss. Die anhaltende Prรคsenz von Sรถldnern und auslรคndischen Truppen verhindert bisher jede nachhaltige Lรถsung.

Besonders brisant bleibt die Sicherheitslage: Anfang Mai 2025 kam es in Tripolis zu heftigen Gefechten mit schweren Waffen. Infolge dessen wurde eine Waffenstillstandskommission zwischen dem Prรคsidialrat und der UN-Mission gebildet โ€“ ein weiteres Zeichen fรผr die fragilen Verhรคltnisse. Berichte รผber Menschenrechtsverletzungen an Migranten und Geflรผchteten in von Milizen kontrollierten Einrichtungen werfen ein dรผsteres Licht auf die humanitรคre Lage.

Politischer Stillstand und der Schatten abgelaufener Mandate

Die zentrale politische Blockade betrifft nach wie vor die Frage der Legitimitรคt bestehender Institutionen:

  • Die Amtszeit der Einheitsregierung unter Abdelhamid Dbeiba gilt laut dem Libyschen Dialogforum als abgelaufen โ€“ dennoch verweigert sie den Rรผcktritt ohne Neuwahlen.
  • Auch die Mandate des Prรคsidialrats und des Parlaments sind umstritten.
  • Zwar verabschiedete das โ€ž6+6โ€œ-Komitee im Juni 2023 ein neues Wahlgesetz, doch zentrale Artikel bleiben umkรคmpft.

Die UN-Mission unter Leitung von Hanna Tetteh bemรผht sich um Vermittlung. Der Prรคsidialratsvorsitzende Mohamed al-Menfi sprach sich im Frรผhjahr 2025 fรผr Neuwahlen aus โ€“ ein Ziel, das viele Libyer:innen als Hoffnungsschimmer sehen, dessen Umsetzung aber weiter in den Sternen steht.

Lokale Wahlen als Signal

Trotz aller Blockaden fanden immerhin erste Kommunalwahlen statt: Im November 2024 wurde Phase eins abgeschlossen, die zweite Runde erfolgte im Januar 2025 in mehreren wichtigen Gemeinden. Zwar war die Wahlbeteiligung oft gering, dennoch gelten sie als positives Zeichen dafรผr, dass demokratische Prozesse in Libyen unter bestimmten Bedingungen durchfรผhrbar sind.

Die StraรŸe spricht: Zwischen Hoffnung und Resignation Der libysche Alltag bleibt geprรคgt von Unsicherheit und Misstrauen. Viele Libyer:innen betrachten internationale Konferenzen wie jene in Berlin mit Skepsis โ€“ zu oft blieben konkrete Ergebnisse aus. Das Vertrauen in politische Akteure ist gering, die Kritik an der fehlenden Durchsetzung internationaler Zusagen laut.

Auch wirtschaftlich bleibt die Lage angespannt โ€“ trotz positiver Wachstumsprognosen (bis zu 14โ€“16 % laut Analysten) im ร–l- und Gassektor. Der Alltag ist vielerorts geprรคgt von Inflation, Stromausfรคllen, mangelnder medizinischer Versorgung und Arbeitslosigkeit. Der Schwarzmarkt boomt, und viele junge Menschen sehen in Migration die einzige Perspektive.

Fazit: Neue Hoffnung oder alte Muster?

Ob das Berliner Treffen im Juni 2025 ein Wendepunkt wird, hรคngt nicht von wohlklingenden Erklรคrungen ab โ€“ sondern von Taten: Einigung auf einheitliche Institutionen, verbindlicher Zeitplan fรผr nationale Wahlen, Rรผckzug auslรคndischer Krรคfte und echte wirtschaftliche Reformen. Ohne eine klare politische Vision und ein MindestmaรŸ an nationalem Konsens bleiben solche Treffen leere Hรผllen.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob aus diplomatischen Formeln reale Fortschritte werden โ€“ oder ob Berlin 2025 nur ein weiteres Kapitel im langen Buch der libyschen Krise bleibt.

ein Beitrag von Ahmed Algheryani – Journalist, Fotograf und Produzent mit Fokus auf libysche und arabische Themen


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht verรถffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert